Würzburg (POW) Arme, Prostituierte, Obdachlose, Alkohol- und Suchtmittelabhängige sollen von öffentlichen Plätzen verbannt werden. Der Vertreibungsdruck auf missliebige Einzelpersonen und Gruppen nimmt seit Jahren zu. Das kritisierte Michael Lindner-Jung, Leiter der Ökumenischen Bahnhofsmission Würzburg, in seiner Fastenpredigt am Mittwochabend, 13. März, im Kiliansdom. Das Leitbild der „sozialen Stadt“ findet nach seinen Worten seine Ablösung in der so genannten „nachindustriellen Stadt“, deren Innenbereiche den Dienstleistenden, Kulturschaffenden und Konsumenten vorbehalten sein sollen. Der Bahnhof in Würzburg sei dabei in vieler Hinsicht ein Spiegelbild dieser Entwicklung in der Gesellschaft. Dieser Entwicklung stellte Lindner-Jung die Frage entgegen: „Ehre jeden Menschen – wie dich selbst?“.
Unerwünschte Personen würden mittels verschiedener Techniken vertrieben. Lokale Beispiele seien die Absperrung des Rasens vor dem Hauptbahnhof mit zahlreichen Hinweisschildern oder auch Bemühungen im Stadtrat und von Seiten der Deutschen Bahn, den Bahnhof „zu säubern“. Auch architektonische Konzepte, die den Aufenthalt für „solche“ Personen unwirtlich erscheinen ließen, und die klassische Kontroll- und Vertreibungspraxis nähmen zu. Ohne Zweifel gebe es in mancher „Begegnung der unangenehmen Art“ gute Gründe, Grenzen zwischen sich und der Person am Straßenrand zu ziehen. Wo aber die Grenze zu früh gezogen werde, unabhängig vom Einzelfall oder vom konkreten Verhalten, würde schnell der Bezug zum anderen und seiner Situation verloren gehen. „Da bilden sich Legenden über Arbeitslose, die Penner, die Punks, und wir beginnen uns zu entfremden“, erklärte Lindner-Jung.
Eine lange Zeit der Arbeitslosigkeit, die am Selbstbewusstsein nage, Wohnungslosigkeit die zur Isolation und Entfremdung führe, der Verlust nahe stehender und geliebter Menschen, Jugendliche, die in ihrem Elternhaus körperliche und seelische Misshandlungen erfahren hätten – das seien nur einige Beispiele zu Biografien der Hilfe Suchenden in der Bahnhofsmission. Umso mehr bräuchten alle diese Menschen Anerkennung und Akzeptanz: „Nichts zählt mehr als die Erfahrung, dass man trotz Fehler zu einem steht“. In der Arbeit der Bahnhofsmission heiße das: Dem anderen die Verantwortung nicht abzunehmen, sondern mit ihm kleine selbstbestimmte Schritte zu gehen. Nach dem Vorbild Jesu solle jeder Mensch in seiner Lebenssituation mit seinen individuellen Möglichkeiten und Grenzen geachtet werden. Auch das Verhalten Christi sei absolut gegenläufig zum Trend seiner Zeit gewesen. Er hätte den Armen so nahe gestanden, dass er habe sagen können: „Was ihr dem Geringsten tut, das habt ihr mir getan.“ Sich selbst mit den Not Leidenden und Jesus in Verbindung zu setzen zeige, „dass wir als Menschen aufeinander angewiesen sind“.
Die Beschäftigung mit Not- und Leidtragenden bedeutet laut Lindner-Jung aber auch, dass Helfer erkennen, dass es auch in ihrem Leben Situationen geben könnte, in der sie geforderte Leistungen nicht mehr erbringen können. Diese Arbeit schaffe damit Einfühlungsvermögen und Verständnis für den anderen, ohne gleich die Notlage als unveränderlich akzeptieren zu müssen. Die Auseinandersetzung mache Begrenzungen des anderen Menschen und eigene sichtbar. Entscheidend sei, dass die Helfer sich selbst nicht überforderten. Andernfalls drohe Engagement sich in Enttäuschung und Ärger über den undankbaren Hilfsbedürftigen zu verwandeln. „Ich kann nicht jedem Bettler am Straßenrand seinen Hut füllen, aber von Fall zu Fall“, erklärte Lindner-Jung. Bei kurzen Begegnungen am Strabahäuschen, vor dem Kaufhaus oder am Bahnhof können man signalisieren, dass das Gegenüber nicht abstoßend auf einen selbst wirke: „Ich kann Anwaltsfunktion übernehmen, wo allein zu Lasten der Schwächeren geredet und gehandelt wird!“
Die Reihe der Fastenpredigten im Kiliansdom unter dem Motto „Ehrfurcht vor dem Leben“ endet am Mittwoch, 20. März, 19.30 Uhr, mit einem Bußgottesdienst im Kiliansdom. Das Thema lautet „Unsere Pläne werden durchkreuzt –Was dann?“
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